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Apropos ESG… wie lässt sich ein Gehaltsunterschied von 40 % zwischen Männern und Frauen im IR-Bereich erklären?
Photo by Markus Spiske on Unsplash
Investor Relations-Aufgaben müssen sich permanent an die sich dynamisch verändernden Bedingungen an den Finanzmärkten anpassen. Aktuell kommen vor allem ESG-relevante Aufgaben dazu, die am Kapitalmarkt an Bedeutung gewinnen. Anleger wollen und müssen zunehmend in ökologische, soziale und gut geführte Unternehmen investieren. Problematisch wird es allerdings, wenn sich diejenigen, die saubere Unternehmensführung und gute Sozialstandards ihres Unternehmens nach außen vermitteln, vielfach auch gerne das Thema „Diversity“ besetzen, nicht sicher sein können, ob diese Standards auch für sie selbst gelten.
Dabei geht es, wie so oft auch, um’s Geld. Laut Investor Relations Vergütungsstudie 2021 von Kohorten und IR Club beträgt das durchschnittliche Bruttogrundgehalt eines IRO 124.300 Euro. Das klingt erstmal recht ansprechend. Beim Detailblick offenbart sich allerdings, dass das durchschnittliche Gehalt der IR-Männer um 40 % über dem der IR-Frauen liegt. Diese beziehen dabei sowohl ein niedrigeres Fixgehalt, als auch geringere Boni, fahren seltener einen Firmenwagen und erhalten weniger häufig einen Long-Term-Incentive. Woran kann diese Diskriminierung liegen? Als naheliegende Erklärung dafür bietet sich an, dass IR lange eine Männerdomäne war, in der Frauen erst jetzt langsam Fuß fassen. Aber stimmt das? Gibt es nicht schon lange weibliche IR-Managerinnen auf allen Hierarchie-Ebenen und in verschiedenen Unternehmensgrößen? Haben nicht etliche IR-Leiterinnen – auch aus DAX-Unternehmen – mit ihren Kompetenzen das Berufsbild (und auch den DIRK – Deutscher Investor Relations Verband) geprägt? Was also steckt hinter diesen Zahlen?
Jammern auf hohem Niveau?
Investor Relations-Gehälter bewegen sich im Rahmen der Finanzabteilung bereits auf hohem Niveau, wie das FINANCE Magazin gemeinsam mit Hays in seiner IR Gehaltsstudie 2021 herausgefunden hat. Bei dieser jährlich durchgeführten Untersuchung wurden Personalvermittler nach ihren Einschätzungen zu unterschiedlichen Tätigkeiten im Finanzwesen gefragt (die gesamte Studie findet sich hier). Laut dieser Studie wird eine IR-Leitungsfunktion in einer Spanne von 120.000 und 250.000 Euro p. a. vergütet. Nur ein Head of M&A bewegt sich mit 130.000 Euro p. a. am unteren Ende in einer höheren Range innerhalb der Finanzabteilung. Die Spitzengehälter im Controlling (300.000 Euro), Leitung der Finanzabteilung (350.000 Euro) sowie Leitung M&A (350.000 Euro) überbieten die IR-Höchstgehälter jedoch um einiges.
Diese kleine Zahlenakrobatik zeigt, dass sich Vergleiche insgesamt schwierig gestalten. Es kommt auf die Größe eines Unternehmens an, seine Marktkapitalisierung und seine Index-Zugehörigkeit. Ist es also sachlich angebracht und zielführend, angesichts der sehr heterogenen Bedingungen für die Ausgestaltung von Gehältern im Rahmen einer Vergleichsstudie nach dem Geschlecht zu unterscheiden? Ist es nicht viel sinnvoller, nach Funktion, Verantwortung und Branche zu kategorisieren? Immerhin kann das Buchhaltungsteam von Vergütungen in den Höhen der IR-Gehälter nur träumen: Selbst ein internationaler Bilanzbuchhalter kommt laut FINANCE Gehaltsstudie maximal auf 103.000 Euro.
In der 2018-Ausgabe seiner Gehaltsstudie hat FINANCE jedoch genau dies getan und nach dem Gender Gap geforscht. Dabei kristallisierte sich über alle Finanzbereiche hinweg eine systematische Ungleichbehandlung heraus. Es zeigte sich nämlich, dass Frauen in Finanzberufen generell schlechter entlohnt werden als ihre männlichen Pendants. In der Finanzmarktkommunikation kommt FINANCE auf Unterschiede von 18 % und mehr auf like-for-like-base, also der gleichen Position.
Je länger dabei, umso größer der Unterschied
Auffällig ist, dass der Gender Pay Gap bei den Anfangsgehältern laut FINANCE noch kaum ins Gewicht fällt. Mit zunehmenden Berufsjahren gehen die Einkommen jedoch signifikant auseinander. Als Hauptgrund vermuten die Experten von FINANCE, dass Frauen im Finanzbereich seltener die Karriereleiter erklimmen und in Führungspositionen zu finden sind. Diese Annahme bestätigt sich in der Investor Relations Vergütungsstudie 2021 von Kohorten und IR Club, bei der 138 IROs detaillierte Einblicke in ihre persönliche Vergütungsstruktur gegeben haben. Demnach sind IR-Männer durchschnittlich älter als IR-Frauen, insgesamt länger im Job und länger auf der aktuellen Stelle. IR-Männer haben häufiger eine Position in höheren Hierarchiestufen und sind oft Leiter/Head of IR. Sie haben öfter Budgetverantwortung und verantworten dann höhere Budgets als die IR-Frauen. Ebenso haben die IR-Männer meist mehr Personalverantwortung als die IR-Frauen und das im Durchschnitt für größere Teams. Hinzu kommt, dass Männer häufiger in einem DAX-Unternehmen oder einem Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung tätig sind. Denn vor allem dort finden sich größere Abteilungen. Über die Hälfte der börsennotierten Unternehmen in Deutschland beschäftigen überhaupt nur eine oder zwei Personen in ihren IR-Abteilungen (siehe DIRK-Stimmungsbarometer 2021, S. 16).
Kleine Randnotiz: Eine Zusatzqualifikation als CIRO scheint sich nicht positiv auf das Gehalt auszuwirken. Denn die kann ein fast doppelt so hoher Anteil an IR-Frauen vorweisen, als bei den Männern. Woran liegt es also, dass Frauen in der IR so viel schlechter entlohnt werden?
Gängige Stereotypen taugen nicht als Begründung
FINANCE weist auf zwei mögliche Gründe hin. Zum einen seien in vielen Konzernen Karriere und Familie noch schwer vereinbar, weshalb Männer tendenziell weiterhin die besser bezahlten Jobs bekämen. Das ist ein häufig verwendetes und ziemlich abgenutztes Narrativ, denn damit werden Frauen in ein unzeitgemäßes Rollenmodell gedrängt und letztlich auf ihre biologische Dimension reduziert. Für den – zu Beginn einer Berufslaufbahn meist noch theoretischen – Fall, dass sie eventuell einmal eine Familie zu vereinbaren haben, bleibt IR-Frauen demnach von vornherein der Zugang zu lukrativen Karrieren versperrt? Dagegen spricht, dass es doch einige IR-Leiterinnen gibt. Außerdem haben viele Frauen in der IR entweder gar keine Kinder oder sie haben sich kaum eine Auszeit für die Betreuung ihres Nachwuchses genommen. Und dennoch verdienen sie weniger!
Zum anderen führt FINANCE die angeblich mangelnde Fähigkeit von Frauen an, in Gehaltsverhandlungen ausreichend fordernd aufzutreten. Aber ist das plausibel? Kann es sein, dass sich die Vergütungspraxis eines börsennotierten Unternehmens tatsächlich in erster Linie daran orientiert, wer am lautesten brüllt? Wäre es nicht – im Rahmen einer guten Governance – Sache der Personalabteilung und der Unternehmensführung, für ein ausgewogenes Entgeltsystem zu sorgen, bei dem vor allem die Leistung zählt? Würde es der IR-Frau, die normalerweise die Gehälter ihrer Kollegen nicht kennt, wirklich zum Vorteil gereichen, quasi im Blindflug Gehaltskämpfe anzuzetteln? Abgesehen davon können Untersuchungen mittlerweile belegen, dass Frauen so fordernd auftreten können wie sie wollen. Sie bekommen trotzdem nur ein niedrigeres Gehaltsniveau zugestanden.
Dem unconscious Bias mehr Bedeutung zumessen!
Die zitierten Gehaltsstudien sind im Rahmen der Ursachenforschung mit Bedacht zu lesen. Die Befragung von Personalberatungen gibt nur einen Ausschnitt der Realität wieder. Bei der Gehaltsstudie vom IR Club wiederum wurden bisher die IR-Dienstleister nicht berücksichtigt, zu denen eine ganze Reihe von ehemaligen IR-Frauen gewechselt ist, bzw. sich als solche selbständig gemacht hat. Auch wäre es theoretisch möglich, dass ausgerechnet die gut verdienenden IR-Frauen es schlicht versäumt haben, an der Studie teilzunehmen.
Eine wahrscheinliche Begründung für den Männerüberhang in den oberen Hierarchieebenen lässt sich aus der FINANCE-Studie dennoch ableiten, wenn auch implizit. Dazu braucht es einen genaueren Blick auf das Setting der Untersuchung: Die Angaben zu den Gehältern in der Finanzbranche wurden durch die Befragung von Personalvermittlern ermittelt. Wenn die nun aber zu der Einschätzung kommen, dass Männer durchschnittlich 20 % mehr verdienen als Frauen, liegt es auf der Hand, dass Männer auch häufiger vermittelt werden. Immerhin steigt dadurch das Honorar des Headhunters gleich mit um 20 %. Allein die Schuld dafür bei den Personalagenturen zu suchen, greift aber zu kurz. Sie verhalten sich rein ökonomisch und richten sich nach der Nachfrage. Vielmehr sind es die Personalabteilungen in den Unternehmen, die durch ihr Verhalten das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen weiter perpetuieren. Die Studien geben einen klaren Hinweis darauf, dass sich die Unternehmen ihrer unbewussten Voreingenommenheit, dem unconscious bias, gegenüber ihren weiblichen Angestellten stellen müssen.
Fazit: ESG-Kriterien müssen auch bei IR-Gehältern greifen
In beiden Gehaltsstudien ist eine Benachteiligung von Frauen in Investor Relations auffällig. Man kommt nicht umhin in diesem Kontext von Diskriminierung zu sprechen. Hier schließt sich der Kreis zur Ausgangsfrage: Laut Vergütungsstudie vom IR Club fällt den IR-Abteilungen zunehmend auch die Verantwortung für die ESG-Kommunikation zu und es scheint, dass insbesondere IR-Frauen mit Nachhaltigkeitsthemen betraut werden. Wie soll dabei Glaubwürdigkeit rund um das „S“ und „G“ in „ESG“ herzustellen sein, wenn Fairness und Integrität rund um Gehaltsfragen an der IR-Abteilungstür enden?
Jasmin Dentz
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